Ortsweine

die goldene Mitte

"Ortsweine" – die goldene Mitte

Auch in der österreichischen Weinszene wird der burgundisch inspirierte Herkunftsbegriff immer wichtiger, wonach der Ursprung eines Weines wichtiger sei als dessen Rebsorte. Zwischen glamourösen Riedenweinen und einfacheren Gebietsweinen spielen die Ortsweine eine entscheidende Rolle. 

Ein von den alten Griechen sehr geschätzter dunkler, hochwertiger Wein kam aus dem Pramne-Gebirge auf der kleinen Insel Ikaria im Norden der Ägäis. Der "Pramnische" gilt als erster Wein, dessen geographische Herkunft mit einem bestimmten Geschmacksbild, mit einem spezifischen Charakter verbunden wurde: sozusagen der erste "Ortswein" der Weinbaugeschichte. 

Der im antiken Römischen Reich beliebte "Setiner" wurde in den Hügeln um die Stadt Setia südöstlich von Rom produziert. Die römischen Kaiser, Adeligen und Reichen sollen diesen eher herben Wein gern getrunken haben, weil er für die Verdauung schwerer Speisen förderlich war. 

Vino Nobile di Montepulciano ist ein bereits in Mittelalter dokumentierter Top-Wein aus dem toskanischen Städtchen Montepulciano, und war damals aufgrund seiner geringen Produktionsmenge und seines Preises dem Adel – der Nobiltà – vorbehalten. 

Ob dunkel und wohlschmeckend oder herb und verdauungsfördernd oder selten und elitär: Pramnischer, Setiner und Vino Nobile sind drei historische Beispiele dafür, wie der Herkunftsort eines Weines mit bestimmten Eigenschaften verknüpft ist. Und genau das ist die Idee des modernen "Herkunftsmarketings", wie es seit einigen Jahren auch in Österreich von Weinbauverbänden, privaten Winzervereinigungen, einzelnen Winzern und – allen voran – der ÖWM Österreich Weinmarketing GmbH propagiert wird.

Grundgedanke: Für die Unverwechselbarkeit und das Profil eines Weines ist dessen Herkunft aus einer bestimmten Region, einem Ort (Dorf, Gemeinde) bzw. aus einer Ried (Parzelle, Einzellage) wichtiger als die Rebsorte. Beispiele aus Ländern, wo dieses herkunftsdominierte Denken über Wein bereits seit langer Zeit verankert ist: Chianti steht über Sangiovese, Chablis über Chardonnay, Rioja über Tempranillo. 

Vom Tokajer zum Brünnerstraßler

In Österreich begann die Entwicklung des modernen Herkunftsbegriffes für Weine 2003 mit der Etablierung der ersten DAC-Region Weinviertel. "Districtus Austriae Controllatus" ist das gesetzliche Kürzel für besonders gebietstypische österreichische Qualitätsweine. 

Doch es finden sich auch historische Beispiele für österreichische Weine, deren Herkunft Synonym für ihren Charakter – und wichtiger als die Rebsorte – war. So etwa zählten unter Kaiserin Maria Theresia die Weißweine aus dem ungarischen Somló zu den begehrtesten am Hof der Habsburger. Man sprach über den "Somlóer", nicht über dessen Rebsorten. Der Ortsname "Tokaj" stand für hervorragende Süßweine, die dafür verarbeiteten Trauben – Furmint, Hárslevelű – waren allenfalls zweitrangig.

Seit dem 17. Jahrhundert kennen Süßweintrinker auch den nach seinem Herkunftsort Rust am Neusiedlersee benannten "Ruster Ausbruch". Nur wenige aber wissen, dass dafür Furmint, Gelber Muskateller, Chardonnay, Welschriesling, Weißburgunder – reinsortig oder als Cuvée – verarbeitet werden.

"Brünnerstraßler" ist eine alte, heute selten gebräuchliche Bezeichnung für resche, frische, säurebetonte Weißweine aus dem Weinviertel, benannt nach der "Brünner Straße", die von Wien bis ins tschechische Brünn führte und an der viele Weinbaugemeinden lagen. Die ortsbezogene Herkunftsbezeichnung gab Auskunft über den Charakter und Typ des Weines, die Rebsorten – meist Grüner Veltliner oder Welschriesling – interessierten die Heurigenbesucher nur mäßig. 

Die Antwort Burgunds auf die Bordeaux-Klassifizierung

Zum ersten Mal systematisch und professionell betrieben wurde die Bewertung von Produzenten und Weinbergen – wie könnte es anders sein? – in Frankreich. Die inzwischen berühmte Klassifikation der Châteaux in Bordeaux erschien 1855. Allerdings wurde hier der Produzent eingestuft, nicht die Herkunftslage.

Anders in Burgund, wo sich Mikroklima und Boden – das vielbeschworene Terroir – auf kleinstem Raum ändern können: Wachsen auf einer Parzelle Trauben, die nur für mittelmäßige Alltagsweine taugen, gedeihen möglicherweise in einem nur 100 m entfernten  Weingarten hervorragende Trauben für Top-Weine.

Die 1861 vom Naturwissenschafter Jules Lavalle fertiggestellte Bewertung der burgundischen Weinberge bzw. Lagen und seine Einteilung in Qualitätsklassen galt als "die Antwort Burgunds auf die Bordeaux-Klassifizierung". Bei seiner Arbeit stützte sich Lavalle auf das alte Wissen und die Aufzeichnungen weinproduzierender Zisterziensermönche, die schon im Mittelalter über die Besonderheiten und Charakter jeder noch so kleinen Parzelle genau Bescheid wussten. 

Die Weinpyramide

Lavalles Arbeit war die Basis für die heutige vierstufige Burgund-Klassifizierung: Regionswein, Village(Orts)wein, Premier Cru- und Grand Cru-Wein. Diese Einstufung wieder diente auch dem seit etwa 20 Jahren in Deutschland und Österreich vorangetriebenen Herkunftsmarketing als Vorbild. 

In Österreich beginnt sich langsam, aber stetig, die Kategorisierung durchzusetzen: Gebietswein – Ortswein – Riedenwein. Symbolisiert und verständlich gemacht wird sie meist durch das Bild der "Weinpyramide". 

Gebietsweine, etwa ein "Weinviertel DAC", bilden die breite Basis der Pyramide: Ihr Stil ist repräsentativ für das gesamte jeweilige Weinbaugebiet. Bei trockenen weißen Gebietsweinen wie etwa Weinviertel DAC (Grüner Veltliner), ist eine gewisse Leichtigkeit, Frische und Fruchtigkeit zu erwarten. 

An der Spitze der Pyramide stehen die Riedenweine (Lagenweine), z. B. "Kamptal DAC Ried Zöbinger Heiligenstein". Es sind komplexe, lange ausgebaute Weine mit entsprechendem Reifepotenzial. Sie spiegeln die individuellen Eigenheiten ihrer Herkunftsriede deutlich wider, die sich bereits in der Jugend des Weines zeigen und mit zunehmender Reife deutlicher hervortreten. Riedenweine tragen immer auch die Charakterzüge einer klassischen Reserve. 

Zwischen Gebiets- und Riedenwein steht: der Ortswein, z. B. "Kitzeck-Sausal Riesling". Er zeigt klar und deutlich den typischen Charakter seines Herkunftsortes, dessen Bodenbeschaffenheit sowie Mikroklima, und sollte spürbar mehr Körper, Komplexität und Eigenart bieten als ein einfacher, jung zu trinkender Gebietswein. Ortsweine werden auch als Botschafter des Terroirs ihrer Herkunftsgemeinde bezeichnet. In der Regel stammen die Trauben für solche Weine aus mehreren verschiedenen Rieden des jeweiligen Ortes.

Diese in Burgund "Village" genannten Weine sind eine auch kommerziell ertragsstarke, breitenwirksame und daher für die Vermarktung wichtige Kategorie – bis hin zum glasweisen Ausschank in der Gastronomie.

Das jeweilige regionale Weinkomitee legt im Rahmen der DAC-Bestimmungen fest, welche Orte in einem Weinbaugebiet einen derart individuellen Charakter zeigen, dass deren Weine als "Ortsweine" auf dem Etikett ausgewiesen werden können. Beispiel: Im Gebiet Südsteiermark DAC sind das Kitzeck-Sausal, Eichberg, Leutschach, Gamlitz und Ehrenhausen. 

All dies soll das Profil der österreichischen Ortsweine – auch international – schärfen, soll sie unverwechselbar, wiedererkennbar, besser vermarktbar und ihren Herkunftsort bekannter und einzigartig machen: Sauvignon Blancs gibt es weltweit unzählige, aber "Gamlitz Sauvignon Blanc" nur einen. 

"Die Qualität eines Weines, ja sein gesamtes Wesen, wird von seiner Herkunft geprägt", bestätigt auch der Langenloiser Bio-Winzer Fred Loimer."Und nichts bringt diese Herkunft so zum Glänzen wie die biodynamische Landwirtschaft – davon sind wir überzeugt. Deshalb kommt es uns auch sehr entgegen, dass der Herkunft im österreichischen Weingesetz immer größere Bedeutung beigemessen wird. Mit der vor einigen Jahren eingeführten Herkunftspyramide wurde diese Entwicklung intensiviert. Bei diesem System gilt nun, was in vielen anderen renommierten Weinbaugebieten schon lange die Regel ist: Die kleinste Herkunft, also die Riede bzw. Lage hat die größte Bedeutung, es folgen Ort und Weinbaugebiet. Ein Gutswein heißt dann beispielsweise ganz einfach Kamptal, ein Ortswein Langenloiser und ein Erste Lagen-Wein z. B. Ried Käferberg." 

Das Prinzip Ortswein anhand von drei Beispielen

• Leutschach Chardonnay Südsteiermark DAC, Weingut Erwin Sabathi

Das spezifische Klima in Leutschach mit großen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht begünstigt fruchtbetonte Weinsorten, dazu kommen kalkhaltige, "Opok" genannte Mergelböden. Die Trauben für den Leutschach Chardonnay stammen aus verschiedenen Lagen im Ort. Ergebnis: ein Wein mit floralen Aromen nach Hopfen- und Limettenblüten; frische Bergkräuter, geriebene Pistazien, geschmeidige Textur mit Schliff, ein großartiger Ortswein, der seine Herkunft widerspiegelt.

"Mit der Benennung des Weines nach seiner Herkunftsgemeinde greifen wir eine alte Tradition wieder auf. Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Orte auf den Etiketten ausgewiesen", heißt es dazu von Seiten des Weinguts. 

• Eisenberg DAC Reserve Blaufränkisch, Weingut Wachter-Wiesler

"Unsere Village-Weine" – das Weingut verwendet das französische Wort für Ortsweine – "sind vollendete Botschafter der Bodenbeschaffenheiten von Deutsch Schützen und Eisenberg. Der Fokus liegt auf Finesse, Typizität und Potenzial."

Dieser Blaufränkisch kommt ausden Rieden Fasching, Saybritz und Hummergraben am Eisenberg im Südburgenland, der von eisenhaltigem Grünschiefer mit Lehmauflage geprägt ist. 

• Prellenkirchen Rot, Dorli Muhr, Carnuntum
Die Blaufränkisch-Trauben für diesen Ortswein stammen aus 20 Parzellen am Südhang des in unmittelbarer Nähe von Prellenkirchen liegenden Spitzerbergs. Für den "Orts-Charakter" sorgen das extrem trockene und heiße, niederschlagsarme Mikroklima und die kargen, mineralischen Kalkböden. Ergebnis: feine Beerenaromatik und erfrischende Säurestruktur. 

Die goldene Mitte

Ortsweine sind oft die "unbesungenen Helden": Einerseits wird die meiste Aufmerksamkeit den glamourösen Stars, den hochklassigen Riedenweinen, geschenkt. Andererseits entfällt das Gros der Produktion naturgemäß auf die Easy to drink-Gebietsweine.

Dabei sind Ortsweine so etwas wie die "goldene Mitte" zwischen den beiden anderen Kategorien: Sie sind in größeren Mengen verfügbar und früher im besten Reifestadium als Riedenweine. Im Vergleich zu unkomplizierten, jung zu trinkenden Gebietsweinen sind Ortsweine länger lagerfähig, werden auch gehobenen Qualitätsansprüchen gerecht und bieten von allen drei Kategorien wohl das beste Preis-Leistungsverhältnis. Bei den meisten Winzern sind die Ortsweine, gemessen an ihrer Qualität, wahre "Schnäppchen". 

Die Stile der einzelnen Orte wieder aufleben lassen

Bei allen zu würdigenden Bemühungen des Weinmarketings, der Weinbauverbände, der regionalen und des nationalen Weinkomitees sowie der Winzer sollte man sich aber keiner Illusion hingeben: Nachdem in Österreich jahrzehntelang die Rebsorte im Fokus stand, wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis der "Ortswein" bei allen Kunden angekommen ist und verstanden wird. Aber man ist auf gutem Weg: Viele Winzer haben die herkunftsbezogene Klassifizierung bereits übernommen, produzieren beachtliche Ortsweine und schreiben den Herkunftsort groß aufs Etikett – meist größer als die Rebsorte. 

In einem Interview im Herbst 2019 sagte uns der Göttlesbrunner Winzer Gerhard Markowitsch in Bezug auf seine Weinbauregion: "Viele Jahre lang haben wir in Carnuntum auf Cuvées gesetzt. Wir haben die Weine von verschiedenen Böden und verschiedenen Sorten zu sehr komplexen Gesamtkunstwerken vermählt. Derzeit aber läuft ein Umdenkprozess in unserem Gebiet. Das neue Lagenkonzept ist der bisher größte Schritt in der Entwicklung des Weinbaugebietes Carnuntum. Rebsorten und Cuvées treten in den Hintergrund, die einzelnen Lagen, ihre Besonderheiten, die Präzisierung der Herkunft und die Stildefinition der Lagen und Weine stehen im Vordergrund. Im nächsten Schritt werden wir auch die Stile der einzelnen Orte wieder aufleben lassen. Wie in alten Zeiten. Es wird ein Prozess über mehrere Jahre sein, und eine Entwicklungsreise an den Ursprung unseres Gebietes." 

So schließt sich ein historischer Kreis von den österreichischen Ortsweinen der 2020er-Jahre zum jahrtausendealten Pramnischen (Orts)Wein der alten Griechen.

Wagners Ortswein-Paket

Gamlitz Sauvignon Blanc, Sattlerhof, Südsteiermark
Dürnstein Grüner Veltliner, Leo Alzinger, Wachau
Kitzeck-Sausal Riesling, Kodolitsch, Südsteiermark
Leutschach Chardonnay, Erwin Sabathi, Südsteiermark
Prellenkirchen Rot, Dorli Muhr, Carnuntum
Eisenberg Blaufränkisch, Wachter-Wiesler, Südburgenland